Neues Kleid, stärkerer Motor, optionales ABS – die Honda Deauville hat sich zum Luxus-Tourer gemausert. Testfahrten
mit neuen Motorrad-Modellen sind im Allgemeinen eine spannende
Angelegenheit. Die Frage, ob das vorgestellte Fahrzeug wirklich all das
kann, was der Hersteller verspricht, schreit förmlich nach Überprüfung.
Erst recht, wenn das neue Motorrad alles besser können soll. Handelt es
sich aber wirklich um eine Neuentwicklung? Oder doch nur um einen alten
Hut, der mit Farbe und ein paar Optik-Features aufgepeppt wurde, damit
er wie der letzte Mode-Schrei aussieht? Nachdenklich
stimmt die erste Begegnung mit der Honda Deauville, Baujahr 2006. In
Zeiten, in denen Maxime wie mehr Hubraum, mehr Leistung, weniger
Gewicht gelten und den Verkaufserfolg bestimmen, kommt die Deauville
wie ein Urahn aus vergangenen Zeiten daher. Dabei ist sie gerade einmal
acht Jahre alt, 1998 feierte der Mittelklasse-Tourer als guter Freund
und Weggefährte Premiere. Die Grunddaten haben sich
nämlich kaum verändert: Angetrieben wird sie weiterhin vom bewährten,
flüssigkeitsgekühlten V-2 Motor, der schon in der legendären NTV 650
seinen Dienst verrichtete; nahezu zeitlos unverändert präsentiert sich
der Brückenrohr-Rahmen mit konventioneller Telegabel vorn und
Zentralfederbein hinten; der Kardanantrieb ist von Anfang an Standard.
Alter Hut? Weit gefehlt. Es müssen nicht immer 130 PS und 1200 Kubik
sein, die ein Motorrad zu einem komfortablen Tourer machen. Hier
schwimmt die Deauville konsequent gegen den Strom. Ihr reicht ein
Hubraumzuwachs von 33 auf 680 Kubikzentimeter, um auch im
Zweipersonen-Betrieb für ausreichend Vortrieb zu sorgen. Dazu bedurfte
es – neben dem Hubraumzuwachs – allerdings auch einer
Leistungssteigerung im Rahmen der Möglichkeiten. Neue
Zylinderköpfe wurden dafür konstruiert und ein neues
Kraftstoff-Einspritzsystem eingeführt. Gleichzeitig wurde das
Motorgewicht um 1,4 Kilogramm reduziert. Die Zylinderköpfe arbeiten
jetzt mit Vierventil-Technik, statt bisher mit drei Ventilen. Der
Leistungsschub von sieben kW auf jetzt 48 kW (65 PS) hat dem Tourer gut
getan. Er erlaubt dem Fahrer, die Deauville auch einmal etwas
sportlicher um die Kurven und aus ihnen heraus zu bewegen – was sie
ohne größere Widerstände mitmacht. Das Fahrwerk zeigt kaum
Schwächen, Bodenunebenheiten schluckt die Telegabel gemeinsam mit einer
robusten Single-Shock-Hinterrad-Aufhängung problemlos, zumal das
hintere Federbein jede Menge Einstellmöglichkeiten offeriert. Lediglich
das leichte Aufstellmoment bei Bremsmanövern in der Kurve trübt etwas
den Fahrspaß. Das Getriebe dürfte zudem geschmeidiger sein. Seit
2002 verfügt die Deauville über ein Kombi-Bremssystem. Es ist mit
Dreikolben-Bremszangen vorn ausgestattet, die auf 296-mm-Scheiben
zugreifen. Hinten befindet sich eine konventionelle Scheibenbremse mit
Zweikolben-Bremszange. Die Vorderrad-Bremse funktioniert wie die
meisten konventionellen Scheibenbremssysteme. Sie betätigt alle drei
Kolben der rechten Bremszange und die äußeren beiden Kolben der linken
Bremszange. Das Hinterrad-Bremspedal hingegen betätigt
sowohl die Hinterradbremse als auch den mittleren Kolben der vorderen
linken Bremszange. So wird ein optimales Bremsgleichgewicht auch bei
hohem Bremsdruck aufs hintere Bremspedal gewahrt. Wem das nicht
ausreicht, der kann für 600 Euro zusätzlich ein ABS ordern,
was wir grundsätzlich empfehlen. Dass Honda die
Deauville als Luxus-Tourer bezeichnet, das bezieht sich vor allem auf
die vielen Komfort-Merkmale. Dazu gehören die mechanisch
höhenverstellbare Windschutzscheibe und das ausgeklügelte, in die
Verkleidung integrierte Koffersystem mit mehr Stauraum und einer Art
Durchreiche zwischen beiden Koffern, in die gar ein Baguette passt. Die
8240 Euro teure Deauville ist aber mehr als ein Motorrad für die Fahrt
zum Bäcker – und schon gar kein alter Hut. In der Tourer-Mittelklasse
setzt sie Maßstäbe. |